"Wir haben alle Lösungen, die wir brauchen"

Dr. Carl-Friedrich Schleußner ist Physiker und Klimaforscher an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er leitet die Nachwuchsforschungsgruppe EmBARK am Integrative Research Institute on Transformations of Human-Environment Systems (IRI THESys) und erforscht soziale, ökonomische und naturwissenschaftliche Aspekte des Klimawandels. Humboldts17 sprach mit ihm über die anstehende UN-Klimakonferenz 2022.

Herr Schleußner, in zwei Tagen startet die 27. Weltklimakonferenz in Scharm el-Scheich. Welche Ergebnisse wünschen Sie sich von diesem Treffen?

In diesem Jahr findet die Konferenz unter sehr schwierigen Vorzeichen statt, wenn man die globalen geopolitischen Herausforderungen betrachtet. Gleichzeitig haben wir eine immer schneller galoppierende Klimakrise, die in ihren Auswirkungen weltweit immer spürbarer wird. Es wird einerseits schwierig, die notwendige Vertrauensbasis zur Zusammenarbeit aufzubringen und andererseits müssen dringend Ergebnisse geliefert werden. Trotz aller aktuellen Krisen darf Klimaschutz nicht hintenanstehen. Die Konferenz muss Antworten darauf liefern, wie wir noch in dieser Dekade die globalen Emissionen um 50 Prozent senken können. Und wir brauchen vor allem auch Unterstützung für die vulnerabelsten und vom Klimawandel besonders betroffenen Länder des globalen Südens. Sie erleiden schon heute hohe Klimaverluste und -schäden und brauchen deutlich mehr Unterstützung als bisher, um sich anzupassen. Ich denke, das wird ein wichtiger Punkt in den Verhandlungen sein.

Im Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015 einigten sich 195 Staaten darauf, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius, besser noch auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Warum ist das so wichtig?

Jedes Zehntel Grad zählt. Mit jeder Zunahme der Erwärmung hat der Klimawandel immer drastischere Auswirkungen. Wir haben jetzt schon eine Erwärmung von etwa 1,2 Grad Celsius. Die Klimakatastrophe kommt nicht irgendwann, nicht bei 1,5 oder 1,6 Grad Celsius. Wir sind schon mitten drin. Denken Sie an die Vielzahl von Extremwetterereignissen allein in diesem Jahr. Aber wenn es gelingt, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, können wir nach aktuellem Erkenntnisstand der Forschung wahrscheinlich das Schlimmste noch verhindern. Wenn wir diese Grenze überschreiten, werden wir sehr drastische und teilweise unumkehrbare Klimafolgen auslösen.

Was muss jetzt geschehen, um dieses Ziel noch zu erreichen?

Wir müssen bis 2030 die Emissionen weltweit um 50 Prozent reduzieren. Im Moment werden die dafür notwendigen politischen Anstrengungen leider nicht unternommen. Jedes Jahr, das wir verlieren, ist ein Jahr, in dem wir unumkehrbare Klimafolgen mit sehr schwerwiegenden Auswirkungen immer wahrscheinlicher machen. Wir können es uns nicht leisten, das Klimaproblem aufzuschieben, weil wir glauben, dass es dringendere Probleme gibt. Dafür haben wir keine Zeit. Es ist entscheidend, dass jetzt die richtigen Weichen gestellt werden.

Bisher reichen die politischen Vorgaben zum Klimaschutz nicht aus, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Die Welt steuert auf mehr als drei Grad Celsius zu. Wie sieht unsere Welt in 50 Jahren aus, wenn wir weiter so machen?

Eine Welt, die durchschnittlich drei Grad wärmer ist, unterscheidet sich extrem von der Welt, die wir heute haben. Schon jetzt, bei einer Erwärmung von 1,1 bis 1,2 Grad Celsius, erleben wir klimabedingte Extremwetterereignisse, die es ohne die Erwärmung gar nicht gegeben hätte. Das, was wir heute als Hitzewelle erleben, wäre dann das neue „Normal“. Wir würden noch extremere Naturkatastrophen, Dürren, Überflutungen, Tropenstürme erleben. Es käme zu großen sozioökonomischen Verwerfungen, weil nicht alle Länder gleichermaßen betroffen sind. Schon bestehende Krisen würden sich drastisch verschärfen und unsere Fähigkeit, darauf zu reagieren, würde sich reduzieren. Die Klimafolgen würden vielen Menschen die Lebensgrundlage nehmen und Teile der Welt würden zunehmend unbewohnbar sein. Bei einer Erwärmung von drei Grad Celsius werden wir zudem mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einige Kipppunkte des Klimasystems überschritten haben, die über Jahrhunderte und Jahrtausende den Meeresspiegel weiter ansteigen lassen. Ökosysteme würden im großen Stil beeinträchtigt und zerstört sein. Wenn wir beispielsweise eine Erwärmung von 1,5 Grad überschreiten, wird das zum fast kompletten Verlust der tropischen Korallenriffe führen. Es ist eine Zukunft, die ich uns nicht wünsche.

Was erwartet uns konkret in Deutschland und können wir uns an die Veränderungen anpassen?

Auch hier erleben wir Klimabedingungen, die wir historisch nicht kennen und auf die unsere Städte und unsere Lebensweise nicht angepasst sind. Unsere Infrastrukturen und die politische Entscheidungsfähigkeit werden an ihre Grenzen stoßen. Wir sehen es schon heute: Unserem Wald geht es so schlecht wie nie – auch wegen klimatischer Veränderungen. In Deutschland herrscht die Vorstellung, dass man nur hier und da an einer kleinen Schraube drehen müsste und dann wird alles so, wie es früher einmal war. Das wird nicht so sein. Der Klimawandel wird uns große Einschränkungen in unserer Lebensweise aufzwingen. Es wird zu wenig darüber diskutiert, ob wir nicht aus freien Stücken das Schlimmste verhindern wollen, anstatt später auf die Schäden reagieren zu müssen, die wir verursacht haben. Natürlich haben wir auch Möglichkeiten, uns anzupassen. Obwohl wir zu den Hauptverursachern der Klimakrise zählen, sind wir im Vorteil gegenüber anderen Weltregionen, die es mit viel stärkerer Wucht treffen wird. Aber Anpassung gibt es nicht umsonst. Wären wir zum Beispiel als Gesellschaft bereit, die Nordseeinseln mit allen Mitteln, die es braucht, zu verteidigen? Oder wird irgendwann der Punkt erreicht, wo die Bewohnerinnen und Bewohner umsiedeln müssen?

Was macht Ihnen trotz allem Hoffnung?

Da gibt es eine ganze Menge! Der Weltklimarat hat in seinem letzten Sachstandsbericht zum Beispiel gesagt, dass die Lücke zum 1,5-Grad-Ziel bis zum Jahr 2030 noch geschlossen werden kann. Und zwar mit globalen Maßnahmen, die bezahlbar sind. Wir haben die Lösungen, die wir brauchen. Wir wissen, wie es technisch funktioniert und dass es finanziell umsetzbar ist. Erneuerbare Energien sind in vielen Regionen der Welt die billigste Energieform. Die Wachstumsraten und technologischen Entwicklungen auf diesem Gebiet sind beeindruckend. Wir wissen auch, was wir im Transport- und im Ernährungssektor tun müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Ich würde mir wünschen, dass wir viel mehr über die Potenziale sprechen, die all diese Maßnahmen auch für andere Bereiche leisten können – wie etwa lebenswertere Städte, eine bessere Gesundheit oder ausgeglichenere sozioökonomische Verhältnisse. Entschlossener Klimaschutz ist eine Win-win-Situation für alle. Eine bessere Zukunft ist in Reichweite, wenn wir die richtigen politischen Entscheidungen treffen.

Share

Folgender Link wurde Ihrer Zwischenablage hinzugefügt. Sie können diesen jetzt nutzen, um ihn in Ihren Netzwerken zu teilen.

Datenschutzeinstellungen

Wir verwenden Cookies, um die Benutzerfreundlichkeit unserer Website zu verbessern und sicherzustellen.